Jeanett Rotter


 

Ich gehe einen Weg

 

Ich gehe einen Weg.

Ohne ihn zu kennen, 

gehe ich einen Weg, 

lass mich im Meer der Welten

auf hohen Wellen

bis hinab zum Boden sinken.

Ich weiß es nicht;

werde ich leben

oder werde ich ertrinken?

 

Ich gehe einen Weg

und ich lasse es geschehen. 

Dabei möchte ich all meinen Gefühlen 

ganz ganz tief in die Augen sehen. 

Lebendig möchte ich sein, 

ich möchte mich spüren, 

ich lass mich vom Leben 

ohne eigenen Willen führen. 

Tausend Mal habe ich mich verloren, 

tausend Mal habe ich mich wiedergefunden, 

tausend Mal habe ich mich neu mit Gott verbunden.

 

Ich gehe einen Weg. 

Ich schau nach vorne. 

Vergangenheit ist vergangen

und auch schon längst verloren. 

Ich gebe mich hin, 

ich lasse es passieren, 

stehe hier und bin nackt. 

Und wenn schon, 

was habe ich denn zu verlieren?

 

Ich gehe einen Weg. 

Ich weiß nicht, wohin er führt, 

weiß nur, ich muss vertrauen. 

Nur einen Moment lang

in meinem Leben muss ich vertrauen, 

muss bereit sein

für diesen einen Moment alles zu geben, 

für die Liebe, die Fülle, 

den Spaß am Leben, 

die Freude zu sein, 

die Pflicht zu vergeben. 

Nur einen Moment lang 

vergesse ich den Schmerz, 

das Leid, die Angst. 

Nur einen Moment lang

tanze ich mit mir meinen eigenen Tanz. 

Nur einen Moment lang

ist die Zeit verschwunden. 

Ich fühle es, 

ich bin frei und ungebunden. 

Es gibt nichts zu verlieren, 

es gibt nichts zu erreichen

und dieser eine Moment 

ist mit nichts anderem zu vergleichen. 

 

Ich gehe einen Weg

und bin die, die ich bin. 

Und auf das, was ich bin, 

schaue ich mit ganzer Liebe hin, 

schaue sanft, 

verurteile nicht, 

probiere aus

und denke nicht: 

"Es stimmt was nicht mit mir", 

lasse alles raus, 

bin einhundert Prozent, 

bin ganz, bin richtig. 

Ich lasse geschehen, 

ich weiß, ich bin unendlich

und werde niemals vergehen. 

 

Ich gehe einen Weg. 

Ich lasse mich tragen, 

stelle der Schöpfung

nicht die falschen Fragen, 

muss nichts wissen, 

muss nichts verstehen, 

darf auf diesem Weg

Schritt für Schritt

die eigene Wahrheit gehen. 

Ich weiß, es gibt nichts, 

was ich nicht schon immer war. 

Ich darf mich entdecken, 

darf mich mit anderen teilen, 

darf es nicht mehr verstecken, 

darf im Hier und im Jetzt verweilen. 

 

Ich gehe meinen Weg

in diesem einen Moment, 

der heute ist, 

der gestern war, 

der morgen sein wird. 

In diesem einen Moment, 

in dem alles passiert, 

verliere ich die Kontrolle

und ohne Bewertung

mache ich das, was ich will

und nicht das, was ich soll, 

lasse den Verstand hinter mir, 

denn erst dann habe ich eine Wahl, 

gebe gut auf mich Acht, 

bin bei mir, 

mache das, was mir im Leben 

am meisten Freude macht, 

denn der Weg ist das Ziel.  


Kunst am Hof          Jeanett Rotter